Willkommen in der Welt der Motorradeinsteiger und Fahranfänger – oder ist das gar nicht so, und die BMW G 310 ist ein vollwertiges Motorrad trotz ihrer nur 34 PS? Dieser Test findet es heraus.
Eine neue BMW für nur 5.050 Euro – das gilt als echtes Schnäppchen in Kreisen der Fans. Vor allem, da diese es gewohnt sind, außerdem mit heftigen Aufpreisen für Extras zur Kasse gebeten zu werden. Und da kommt die günstige BMW G 310 und es gibt kein Extra zu kaufen, jedenfalls keines, was speziell für dieses Modell konzipiert ist?
Doch dieses Motorrad stellt grundsätzliche Fragen: Ist es überhaupt sinnvoll, für fünftausend Euro ein Motorrad mit 34 PS zu kaufen? Oder wäre die Entscheidung für ein gebrauchtes Motorrad (= mehr Leistung) oder einen Roller (= mehr Alltagstauglichkeit) die richtige?
Auf diese Wahlmöglichkeiten gibt es nur individuelle Antworten. Trotzdem müsste jede Antwort damit zu tun haben, ob die G 310 ein vollwertiges Motorrad ist. Sie dürfte dem Fahrer nicht untermotorisiert erscheinen und dieses spezielle Fahrverhalten vor allem in der Kurvenwilligkeit bieten, das Roller bauartbedingt eben nicht herbeizaubern können.
Dann drehen wir doch im Stand eine Runde um das Bike. Zuerst fällt auf, dass die BMW absolut sauber designt ist. Ärmlich wirkt hier gar nichts, und die Verarbeitung ist ebenfalls okay. Warum wir das erwähnen? Weil BMW-Modellen mit Fertigungsstätten außerhalb Deutschlands in einschlägigen Foren ein hohes Misstrauen entgegenschlägt. Die BMW G 310 wird in Indien gefertigt und musste tatsächlich Mitte April 2017 einen Rückruf über sich ergehen lassen, und die ersten Modelle waren eher nachlässig verarbeitet. Unsere ist, wie gesagt, tadellos. Die BMW hat einen Gitterrohrrahmen, und die Schwinge besteht aus leichtem Alu.
Auch die Ausstattung geht für den Preis in Ordnung. Es gibt ein modernes LCD-Cockpit und einen kleinen Bordcomputer. Wo bei Billigheimern gerne gespart wird, sind die lebenswichtigen Reifen. Nicht so bei BMW, die Michelin-Reifen auf die schicken Felgen schnallen.
Das Motorrad wirkt eher klein und niedrig. Kurz mal die technischen Daten verinnerlicht: Ja, die BMW G 310 wiegt vollgetankt nur 159 Kilo, der Radstand ist mit 1,38 Metern sehr kurz und die niedrige Sitzbank ist mit einer Sitzhöhe von nur 785 Millimetern auch von kleingewachsenen w / m / divers zu erklettern.
Von Längerbeinigen auch? Jetzt wäre es gut, den 184 Zentimeter großen und mit langen Beinen ausgestatteten Dietmar an der Seite zu haben – und da ist er auch schon. Schwingt sich auf das Moped und tja … es geht. Gut geht es noch, sehr gut nicht. Der Tankschluss geht in Ordnung, aber klar wird: Für große Personen ist die BMW nicht gedacht.
Doch, eine Überraschung: Für den Soziusbetrieb schon! Wo wesentlich größere Naked Bikes empfindlich schwächeln, legt die BMW mal schön einen vor. Die Sitzbank sieht nicht nur gut aus, sie ist es – vorn wie hinten.
Jetzt aber los.
Oha. So soundmäßig hatten wir mit eher wenig bis gar nichts gerechnet. 34 PS (nein, das ist nicht die gedrosselte Version, es gibt nur diese eine) aus 313 Kubikzentimetern Hubraum … das sind nicht die besten Voraussetzungen für ein Sounderlebnis. Vollvolumig ist natürlich anders, aber vom Klang her ist die Kleine näher an größeren Motorrädern als an einer 125er Sparversion.
Das wird mit steigender Drehzahl natürlich immer besser, und es geht für den Einzylinder weit hinauf: Der rote Bereich im Drehzahlmesser beginnt bei 10.000 Umdrehungen. Das ist ja schon mal was. Und sie liefert ab, jedenfalls für ihre Verhältnisse. In 6,8 Sekunden stürmt sie auf 100 km/h. Das ist in etwa so viel, wie mein schwergewichtiges, aber 326 PS-starkes Auto für diesen Sprint braucht. Respekt, auch wenn dazu immer hohe Drehzahlen notwendig sind.
Klar: Der Asphalt wellt sich nicht gerade hinter ihr. Und der Durchzug … was soll man sagen: 28 kümmerliche Newtonmeter sind es maximal. In der Folge bringt sie den Durchzugstest von 60 auf 100 km/h hinter sich, aber man kann unterwegs absteigen und eine rauchen.
Was fehlt ist die Höchstgeschwindigkeit. 143 km/h sind es, aber der Wert ist eher theoretischer Natur. Wer schwerere Motorräder gewohnt ist, wird die BMW auf der Autobahn als instabil empfinden. Das ist sie nicht, auch nicht kippelig im ursprünglichen Sinne. Aber es ist leicht sie als solches zu empfinden, weil die wenigsten Biker den Umgang mit einem so leichten und wendigen Motorrad gewohnt sind.
Ein Kritikpunkt sind die Bremsen, die vergleichsweise schwergängig sind. Doch die Funktion ist ohne Tadel, und gut dosierbar sind sie auch. Was uns ebenfalls auffiel: Kälte mag die BMW aus Indien nicht. Sie startet dann eher unwillig, und das Getriebe mag es eher schön warmgefahren. Während des Kaltlaufes kann das Finden des Leerlaufes etwas länger dauern.
Also: Für wen eignet sich die kleine BMW G 310 R? Für kleine und leichte Personen natürlich. Die, die einfach Motorrad fahren wollen und auf Fahrleistungen wenig Wert legen.
Ideal ist sie für Leute, die die eingangs gestellte Frage, ob ein Roller nicht die bessere Wahl wäre, mit der Handlichkeit und Fahrfreude der BMW G 310 R entgegnen. Wenn das Konzept Motorrad dem des Rollers überlegen ist, dann hier.
Die japanische Konkurrenz ist meist etwas teuer als die BMW (hätte nicht gedacht, dass ich diesen Satz jemals schreiben würde). Sie schöpft jedoch meist das 48-PS-Limit der Führerscheinklasse A2 aus und bringt etwas mehr Ruhe als die von manchen als hibbelig empfundene BMW mit.
Doch: Nach anfänglicher Skepsis ist eines klar: Macht richtig Spaß, die G 310 R. Wer hätte das gedacht?
Das Testbike wurde uns von Bergmann & Söhne zur Verfügung gestellt.
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