Triumph hat seine Mittelklasse-Reiseenduro gründlich renoviert und schickt mit der Tiger 900 ein heißes Eisen in den Kampf um Marktanteile. Grace, Pace and Style – das alte Jaguar-Motto bedeutet in etwa grazil, schnell und stylisch, passt es auf die Britin?
Tja, da steht sie also vor einem. Von der Seite fallen vor allem der ungewöhnliche, weiße Rahmen und das Mattgrün auf. Stellt man sich neben das Bike und guckt nach vorn, fällt die ziemlich große Einheit aus Tank und Vorbau ins Auge. Sollte die 900er etwa nur die eher gemütliche, sehr komfortable 1200er Tiger um eine schwächere Variante ergänzen? Das finden wir gleich heraus, erst mal eine Runde ums Bike.
Prüfende Blicke und das Klopfen bestätigen: Alles, was nach Alu aussieht, ist aus Alu. Da sitzt kein Verkleidungsteil schief, alles wirkt aufgeräumt und hochwertig. Genial ist die Höhenverstellung des Sitzes. Einfach den vorderen Teil der Sitzbank hochnehmen, ein kleines Rohr umsetzen, fertig. Wer technisch völlig unbegabt ist, braucht 31 Sekunden, alle andern 30. Warum macht das nicht jeder so?
Dann schauen wir mal genauer hin. Vor uns steht also die Triumph Tiger 900 Rally Pro. In der Buchhalter-Ausstattung kostet sie 11.350 Euro. Vollgepumpt mit Extras wie hier, kostet sie satte 15.300, was dann wirklich die Grenze dessen darstellt, was man Mittelklasse nennen kann. Dafür fehlt der Triumph wirklich kein einziges Extra, was man anderswo gesehen hat und auch gern hätte. Nebelscheinwerfer? Check. Sitzheizung getrennt für den Beifahrer? Check. Automatische Blinkerrückstellung? Check. So könnte das ewig weitergehen, allein die Klimaanlage fehlt.
Und doch, ein wenig Meckerei muss sein, denn die Triumph ist ein unentschieden. Solider Unterfahrschutz, der Name „Rally Pro“ und die Motorschutzbügel deuten auf gesteigerte Offroad-Qualitäten hin. Wer das ausprobieren möchte, muss umbereifen, denn serienmäßig gibt es gute Straßenpneus. Was denn nun?
Das reicht jetzt erst mal an Theorie, auf geht’s.
Vor dem Losfahren müssen wir kurz die Bedienung klären. Auf den ersten Blick sind es viele Knöpfe die gedrückt, Schalter die gekippt und Joysticks, die gezogen werden können. Doch schon auf den zweiten Blick klärt sich der Wust, auf den dritten kommt Freude auf. Das Display als solches ist brillant, nicht mal hartes Gegenlicht trübt die Ablesbarkeit. Aber auch die Einstellungen der verschiedenen Fahrmodi ist schnell verstanden, sogar einen Anschluss für die Steuerung einer GoPro-Actioncam ist vorhanden. Auf den ersten Blick nicht gefunden, aber sicher serienmäßig, ist der Kurzwahl-Knopf für die Verbindung mit Lieutenant Uhura vom Raumschiff Enterprise.
Alles da also, los geht’s. Kleine Ernüchterung: Für Kurzbeinige wie den Autor hilft selbst die Absenkung der Sitzhöhe von 870 auf 850 Millimeter nur bedingt, für wirklich kleinere Menschen ist das eher nichts – wie nahezu alle Adventure-Bikes dann aus dem Raster fallen. Dafür haben alle Menschen den Hauptgewinn gezogen, die sich als Sozius oder Sozia verdingen: Der Komfort in der zweiten Reihe ist nicht nur wegen der separaten Sitzheizung 1a, es gibt reichlich Platz.
Die Triumph Tiger 900 ist keine Weiterentwicklung der 800er, sondern tatsächlich eine fast komplette Neukonstruktion. Das sei deshalb versichert, weil die nominelle Leistung mit 95 PS gleich blieb. Doch der Dreizylinder – schon vorher nicht schwächlich – spielt seine höhere Kraft im niedrigen und mittleren Drehzahlbereich aus, ohne oben herum irgendwie zugeschnürt zu wirken. Es geht in jeder Lebenslage ausgesprochen kraftvoll voran.
Klar, die 1200er hat in jeder Lebenslage mehr Dampf. Aber es gibt einen erheblichen Unterschied, der das Blatt zur 900er wenden kann. Zwar hat die 900er sehr lange Federwege und verfügt deshalb über einen sehr guten Fahrkomfort. Ob Kopfsteinpflaster, kurze Querfugen, die Tiger ebnet das locker ein. Im Vergleich zur „großen“ Triumph ist das Vorderrad mit 21 Zoll ebenso groß. Was deshalb überrascht ist, wie agil sich die 900er fährt. Sie ist gefühlt um zwei Klassen wendiger, ohne dies mit vorgeblich sportlicher Härte oder einem schlechten Geradeauslauf zu erkaufen.
Der Windschutz ist mit seiner kleinen Scheibe ok, aber nicht wesentlich mehr. Natürlich hängt der ideale Schutz von der Größe des Fahrers, der Helmform und 1001 anderen Dingen ab. Die kleinen Flaps an der Seite des transparenten und verstellbaren Schildes mögen helfen, aber leichte Turbulenzen gibt es eben doch.
Auch die Ohren kommen nicht zu kurz. Der Dreizylinder klingt, wie man sich die goldene Mitte aus krawalligem V2 und seidigem Vierzylinder vorstellt. Dazu passend der Quickshifter, der hoch und runter tadellos funktioniert: Ein kleiner Ruck ist beim Schalten deutlich wahrnehmbar, aber im Vergleich auch zur deutschen Konkurrenz ist das smooth.
Und so haben wir es denn: Die Triumph Tiger 900 Rally Pro ist ein ungemein geschmeidiges Motorrad. Sie ist cool, sehr souverän. Und sie hat auch ein Faible für Details: So ist der Seitenständer aus hochwertigem Alu. Darüber, wie wertvoll man einen Seitenständer fertigen kann, hat wohl noch nie jemand nachgedacht, aber stilvoll ist es.
Ups – Grace, Pace and Style. Passt einfach.
Das Testbike wurde uns von Triumph Hamburg zur Verfügung gestellt.
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